Mittlerweile zum Standardprocedere einer Versicherung bei der Prüfung von Ansprüchen aus Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen gehört es, erst einmal zu schauen, ob der Versicherungsnehmer bei der oft Jahre zurückliegenden Antragsstellung auch alle Gesundheitsfragen korrekt beantwortet hat. Hierzu werden seitens der Versicherungen entsprechende Fragebögen an von der Schweigepflicht entbundene Ärzte versandt, in die freilich alles eingetragen wird, was der Arzt je mit der Kasse abgerechnet hat. Dass dies nicht immer exakt mit der Erinnerung des Versicherungsnehmers übereinstimmt, liegt eigentlich auf der Hand.
Für die Versicherung aber ein willkommenes Einfallstor, um dem Versicherungsnehmer bei Unstimmigkeiten eine Anzeigepflichtverletzung durch Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen vorzuwerfen und so leistungsfrei zu werden.
Denn gem. § 19 Abs. 1 VVG muss der Versicherungsnehmer auf Nachfrage der Versicherung bis zur Abgabe der Vertragserklärung sämtliche ihm bekannten Gefahrumstände mitteilen. Tut er dies nicht, darf und wird die Versicherung regelmäßig gem. § 19 Abs. 2 VVG vom Vertrag zurücktreten, gem. § 19 Abs. 3 VVG den Vertrag kündigen und zusätzlich (zur Absicherung) den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 BGB anfechten und so ihre Leistungspflicht beseitigen.
Was die Versicherung dem Versicherungsnehmer in solchen Ablehnungsschreiben jedoch nicht verrät, ist, dass eine solche Anzeigepflichtverletzung durch Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen nur dann überhaupt vorliegt und zur Leistungsfreiheit der Versicherung führt, wenn der Versicherungsnehmer die Gesundheitsfragen entweder vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig falsch beantwortet hat (§ 19 Abs. 3 VVG).
Eine solche Anzeigepflichtverletzung liegt bereits dann nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer gegenüber einem Versicherungsvertreter (Ausschließigkeitsvertreter) der Versicherung – jedoch nicht beim Versicherungsmakler – alle Fragen beantwortet, dieser aber die Antworten nicht korrekt in den Fragebogen übertragen hat, weil er sie zum Beispiel für irrelevant hielt. Dann wird aufgrund der vom BGH entwickelten Augen-und-Ohr-Rechtsprechung das Wissen des Vertreters der Versicherung zugerechnet, so dass die Fragen als korrekt beantwortet gelten.
Eine solche Anzeigepflichtverletzung liegt aber auch dann nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer lediglich fahrlässig die Frage falsch beantwortet hat, weil er sich aufgrund der Belanglosigkeit nicht mehr erinnert hat und nicht erinnern musste.
Dies hat das OLG Dresden in einer Entscheidung vom 06.12.2022 sehr schön herausgearbeitet.
Zunächst weist das OLG darauf hin, dass bei Anzeigepflichtverletzungen grundsätzlich von einer groben Fahrlässigkeit auszugehen ist, da der Versicherungsnehmer grundsätzlich verpflichtet ist bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen auch Unterlagen und andere Informationsquellen heranzuziehen, um sein Gedächtnis aufzufrischen.
Ausnahmsweise liegt aber keine grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund der Art und Weise des Umstandes diesen nicht mehr in Erinnerung hatte oder diesen Umstand gar nicht als eine „Behandlung“ betrachtet hat.
Dies ist gerade bei nur einmaligen Arztkontakten der Fall, aus denen sich keine Therapien ergeben oder bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen.
Das OLG Dresden stellte in dem konkreten Fall fest, dass die Überweisung an einen Facharzt und die Durchführung von lediglich probatorischen Sitzungen ohne eine Therapie aus Sicht des Versicherungsnehmers bereits keine “Behandlung“ im Sinne der Gesundheitsfragestellung des Versicherers darstellt, so dass die Falschbeantwortung dieser Gesundheitsfrage allenfalls (leicht) fahrlässig, jedenfalls nicht grob fahrlässig, erfolgt sein kann.
Ein Versicherungsnehmer verletzt seine Anzeigepflicht aber bereits nicht, wenn er einen Umstand nicht angibt, der ihm aufgrund von Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist (auch ständige Rechtsprechung des BGH).
Im Gegensatz zu den Versicherungen differenziert die Rechtsprechung und schaut genau hin, weshalb sich der Versicherungsnehmer nicht erinnert hat, um die für den Versicherungsnehmer oft lebensentscheidende Frage zu klären, ob er Leistungen aus der Versicherung erhält oder nicht.
Deshalb lassen Sie bitte jede auf eine Anzeigepflichtverletzung gestützte Ablehnung der Versicherung durch mich auf Richtigkeit prüfen!
Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt René Simonides