Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – Teil 2 – Die Urteilsgründe

Mit Spannung wurde die Veröffentlichung der Urteilsgründe der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 (Az. 1 ABR 22/21) erwartet. Wir berichteten insoweit bereits in unserem Artikel vom 28.09.2022 (Blogeintrag vom 28.09.2022).

Das BAG hat in seiner nun veröffentlichten Urteilsbegründung überwiegend klare Aussagen zu Fragen getroffen, die sich insbesondere viele Personalabteilungen gestellt haben dürften. Nachfolgend die zentralsten Fragen und Antworten im Überblick:

 

1) Hat jeder Arbeitgebende die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Ja, nach dem BAG gab es diese Pflicht schon vor dem Urteil gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz. Arbeitgebende sind verpflichtet ein Zeiterfassungssystem einzuführen und den Arbeitnehmenden zur Verfügung zu stellen. Den Arbeitgebenden steht es aber frei die Aufzeichnung der Arbeitszeiten an die Arbeitnehmenden zu delegieren. Wird die Aufzeichnung an die Arbeitnehmenden delegiert, hat der Arbeitgebende jedoch durch Kontrollen dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitszeiten zum einen tatsächlich erfasst werden und zum anderen mit den Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes im Einklang stehen.

 

2) Wie ist die Arbeitszeit zu erfassen?

Es genügt zur Dokumentation der Arbeitszeit auch nach wie vor noch ein händischer Stundenzettel, obgleich für die meisten Betriebe eine elektronische Zeiterfassung, z.B. mittels Software, praktikabler sein dürfte. Ob analog oder digital gilt aber in jedem Fall: Arbeitgebende haben die Besonderheiten der Branche und die Eigenheiten der Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten bei der Wahl nach dem passenden Zeiterfassungssystems zu berücksichtigen. Nach dem BAG muss das Zeiterfassungssystem „objektiv und verlässlich“ die Arbeitszeit dokumentieren können. Den Arbeitgebenden steht es frei, auch innerhalb des Unternehmens verschiedene Formen der Zeiterfassung zu implementieren, sofern eine unterschiedliche Behandlung für das jeweilige Unternehmen zweckmäßig ist (man denke an Innendienst/Außendienst).

 

3) Betrifft die Zeiterfassung alle Arbeitnehmergruppen?

Nach dem BAG gilt die Pflicht zur Zeiterfassung auf alle im Unternehmen Beschäftigten im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG.

Es stellt sich insbesondere die Frage, ob hierunter auch die Erfassungspflicht von Arbeitszeit leitender Angestellter fällt. An dieser Stelle erweist sich die Begründung der Erfurter Richter etwas dünn und uneindeutig. Tendenziell neigt man beim Lesen jedoch zur Auffassung, dass die Arbeitszeit leitender Angestellter nicht erfasst werden muss. Insoweit ist nun der Gesetzgeber am Zug für Klarheit zu sorgen. Erste Entwürfe hierfür sind nach den aktuellen Meldungen für das Ende des ersten Quartals 2023 geplant.

 

4) Ist Vertrauensarbeitszeit nach dem Urteil nicht mehr möglich?

Doch. Sofern man im jeweiligen Betrieb unter Vertrauensarbeitszeit die Möglichkeit versteht Arbeitszeiten flexibel handzuhaben, spricht auch nach dem hier besprochenen Urteil nichts gegen die Durchführung von Vertrauensarbeitszeit. Entscheidend ist auch hier, dass die Vertrauensarbeitszeit nachvollziehbar durch ein implementiertes Zeiterfassungssystem erfasst wird.

 

5) Und was ist mit Homeoffice?

Sofern Arbeitnehmende von zu Hause aus Zugriff auf ein zugängliches Zeiterfassungssystem haben, mit welchem sie “objektiv” und “verlässlich” ihre Arbeitszeiten erfassen können, ist auch Homeoffice nach wie vor möglich. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist das Arbeiten von zuhause ein fester Bestandteil zahlreicher Arbeitsverhältnisse, sodass damit zu rechnen ist, dass der Gesetzgeber insoweit die bestehenden Regelungen zum Homeoffice nachbessert.

 

6) Welche Strafen drohen, wenn Arbeitszeiten nicht erfasst werden?

Da das BAG die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung dem Arbeitsschutzgesetz, hier § 3 Abs. 1 Nr. 1, entnimmt, sind Verstöße vor allem anhand dieses Gesetzes zu messen.

Verstöße gegen § 3 Arbeitsschutzgesetz sind – bisher – jedoch nicht unmittelbar bußgeldbewehrt und begründen keine Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 25 Arbeitsschutzgesetz. Ein Bußgeld für Arbeitgebende ist erst dann zu befürchten, wenn eine Arbeitsschutzbehörde nach erstmaliger Feststellung der Nichterfassung von Arbeitszeiten dem Unternehmen Auflagen erteilt und diesen dann nicht Folge geleistet wird.

 

Fazit:

Für viele überraschend war wohl vor allem die klare Aussage des BAG, wonach die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung praktisch aller Beschäftigten bereits bestehe, nämlich gemäß § 3 Abs. 2 Nr.1 Arbeitsschutzgesetz. Arbeitgebenden obliegt es nun – sofern noch nicht geschehen – Zeiterfassungssysteme zu implementieren. Die Notwendigkeit hierfür dürfte vor dem Hintergrund regelmäßiger behördlicher Prüfungen (Betriebsprüfung, SV-Prüfung etc.) ersichtlich sein. Doch auch der Gesetzgeber steht nach dem Dafürhalten des Verfassers nun in der Verantwortung das vorhandene Regularium entsprechend anzupassen und für möglichst klare Verhältnisse zu sorgen, betrifft es doch jedes einzelne Unternehmen mit Beschäftigten in Deutschland.

Sehr gerne sind wir Ihnen in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten behilflich. Schreiben Sie uns einfach eine E-Mail über kanzlei@heinicke-eggebrecht.de oder rufen Sie uns an unter +49 (0)89-552261-0.