Über die neueste Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Werkstattrisiko haben wir bereits in unserem Beitrag vom 08.04.2024 berichtet. Demnach erlaubt es der BGH nur dem Geschädigten selbst sich gegenüber der Versicherung des Unfallschädigers auf das sog. Werkstattrisiko zu berufen, also auf den Umstand, dass für etwaige Fehlleistungen und/oder Fehlberechnungen der Werkstatt nicht der Geschädigte, sondern eben der Schädiger oder dessen Versicherung das Risiko trägt und deshalb gegenüber dem Geschädigten keine Kürzungen beim Schadensersatz vornehmen darf.
Fast selbstverständlich stellte sich die Frage danach, ob sich ein Geschädigter auf diesen Grundsatz nicht nur bei einem Haftpflichtschadensfall gegenüber dem Unfallgegner bzw. dessen Versicherung berufen kann, sondern auch bei einem reinen Kaskoschaden (selbstverschuldeter Unfall) gegenüber der eigenen Kaskoversicherung. Denn auch die eigenen Kaskoversicherungen versuchen ständig vorgelegte Reparaturrechnungen zu kürzen, mit dem Argument, dass Arbeiten der Werkstatt nicht erforderlich oder überteuert gewesen seien.
Einige Amtsgerichte haben, teilweise bereits vor der Grundsatzentscheidung des BGH zum Werkstattrisiko vom Januar dieses Jahres, dies bejaht und tun es weiterhin. Hierzu lesenswert sind die Entscheidungen des AG München vom 23.05.2023 und des AG Siegen vom 19.02.2024.
Die Gerichte stellen fest, dass sich aus den Musterversicherungsbedingungen der Kaskoversicherer die Pflicht der Kaskoversicherung ergibt „die erforderlichen Kosten der Reparatur“ zu ersetzen.
Es kann daher von einem Versicherungsnehmer nicht verlangt werden, dass dieser ohne konkreten Anlass Nachforschungen dazu anstellt, ob die Rechnung der Werkstatt fehlerhaft ist, zum Beispiel aufgrund der Abrechnung von nicht angefallenen Arbeiten oder Ansatz überhöhter Stundensätze. Auch kann dem Versicherungsnehmer nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass die Werkstatt einige Arbeiten von einem Subunternehmer ausführen lässt, da es sich hierbei um eine unternehmerische Entscheidung der Werkstatt selbst handelt, auf die der Versicherungsnehmer keinen Einfluss hat.
Denn entscheidend für die Ersatzpflicht der Kaskoversicherung ist, welche Kosten dem Versicherungsnehmer nach sorgfältiger Auswahl der Werkstatt entstanden sind. Dies wird ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer aus den Versicherungsbedingungen der Kaskoversicherung so rauslesen können. Er wird insbesondere nicht herauslesen können, dass der Begriff „erforderlich Kosten“ ein anderer sein sollte, wie der im Schadensfall gegenüber einem haftpflichtigen Unfallgegner. Denn immerhin steht es dem Unfallgeschädigten frei, auch bei haftpflichtigen Unfällen nicht den Unfallgegner, sondern die eigene Kaskoversicherung in Anspruch zu nehmen und ihr die Prüfung eines Regresses bei dem Unfallgegner zu überlassen.
Da aber für den Fall des haftpflichtigen Unfallschadens und der Inanspruchnahme der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners die Berufung des Geschädigten auf das Werkstattrisiko durch höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt ist, muss dies ebenso für den Fall gelten, wenn ein Unfallgeschädigter seine Kaskoversicherung in Anspruch nimmt.
Denn auch in diesem Fall ist dem Geschädigten nach Übergabe des Fahrzeugs in die Obhut der Werkstatt die Einflussmöglichkeit auf den Reparaturprozess entzogen und befindet sich der ganze Reparaturprozess in einer dem Geschädigten fremden, von diesem nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre.
Bieten sich bei der Auswahl der Werkstatt für den Geschädigten also keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Werkstatt nicht seriös arbeiten und abrechnen würde, darf sich der Geschädigte auch seiner Kaskoversicherung gegenüber auf das Werkstattrisiko berufen und so verhindern, dass die Kaskoversicherung die zu ersetzenden Reparaturkosten kürzt.
Entsprechende Kürzungen durch die Kaskoversicherung sollten mit Hilfe eines Fachanwalts für Verkehrsrecht geltend gemacht werden.
Ihr Ansprechpartner:
Rechtsanwalt René Simonides